Oliver Krautscheid: Der Welt geht es besser als in Davos diskutiert

von , 24.01.2020, 12:06 Uhr

Zurzeit läuft das Weltwirtschaftsforum in Davos. Geopolitische Themen, besonders Klima- und Strukturwandel, werden hier diskutiert. Auch eine immer größer werdende Ungleichheit der Vermögensverteilung. Der Welt gehe es schlecht, das sagen Oxfam wie auch die schwedische Aktivistin Greta Thunberg – doch stimmt das oder macht die Welt nicht tatsächlich Fortschritte?

von Oliver Krautscheid

„Recht wunderliche Milieueindrücke“ sammelte er in Davos, so Thomas Mann 1930 in seinem Lebensabriss. Diese „Milieueindrücke“ bewegten ihn sodann zum Zauberberg, der eine Welt beschreibt, die es bei Erscheinen des Romans bereits nicht mehr gab. Der Roman spielt in Davos, dort, wo das Weltwirtschaftsforum tagt und über das diese und jene Seiten mit stets gleicher Beharrlichkeit gleich berichten. Greta Thunberg tritt auf und warnt vor den Folgen des Klimawandels, Oxfam beklagt immer größer werdende Ungerechtigkeit – beides unaufhaltsam und jedes Forum aufs Neue ein ernstes Problem – doch wie viel ist dran an letzterer Behauptung? Machen wir nur Rückschritte?

Die gleiche merkwürdige Beharrlichkeit erfasst auch den Protagonisten in Manns Zauberberg, Hans Castorp. Auch er berief ohne Not Geister, die er sodann nicht mehr los wird; aus geplanten drei Wochen in Davos werden dann verflixte sieben Jahre zwischen Siechenden, wirklich und eingebildet Kranken, ihren Ärzten und Pflegern im luxuriösen Luftkurort. Ein ironisches Gegenstück zum Tod in Venedig. Aber zurück in die Realität, zurück nach heute.

Krisen in Davos: Trump, Greta, Oxfam

US-Präsident Donald Trump, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Klimaaktivistin Greta Thunberg – sie sind wohl mit die prominentesten von etwa 3.000 Teilnehmern der 50. Zusammenkunft des Weltwirtschaftsforums (WEF). Trump propagierte wie üblich „America first“, Greta konstatierte „ob links, rechts oder Mitte – alle haben versagt“ und Oxfam mahnte gar die Ungleichheit ist erneut schlimmer geworden. 1 % der Weltbevölkerung hätten mittlerweile 45 % des globalen Vermögens zusammengerafft, wogegen der ärmste Teil der Weltbevölkerung zusammen nicht einmal auf 1 % des globalen Vermögens käme. Ganz besonders Frauen seien mit 12 Milliarden unbezahlten Arbeitsstunden täglich, die großen Verlierer. „Jetzt haben Milliardäre mehr Reichtum als 4,6 Milliarden Menschen auf dieser Erde. Das ist eine Ungleichheit, auf die wir schauen. Und dabei muss man im Blick haben, dass fast die Hälfte der Weltbevölkerung weniger als 5,50 Dollar pro Tag zum Leben hat.“ So Amitabh Behar von Oxfam International. Zur Klimakrise kommt gesellt sich die Ungleichheitskrise. Der Rest ist Trump, der nach (vorerst) beigelegten Handelsstreitigkeiten mit China nun der EU ein Handelsabkommen abpressen will.

Der Gini-Koeffizient: Die Welt macht Fortschritte!

Doch es ist nicht alles so schlimm wie es scheint, wie die Presse schreibt, denn tatsächlich macht die Welt Fortschritte. Zwar spottete der Chef der US-Großbank JPMorgan einmal, das WEF sei ein Ort, „wo Milliardäre Millionären erzählen, was die Mittelklasse fühlt.“ Aber Spott ist Spott und Fakten sind Fakten: Am Gini-Koeffizienten gemessen nehmen die Vermögensunterschiede weltweit und seit zwei Jahrzehnten ab! Auch die Vermögensunterschiede zwischen den Staaten nehmen ab. So lässt es sich dem Global Wealth Report 2019 der Credit Suisse entnehmen, dem Report, der auch Grundlage der durch die Presse gepeitschten Oxfam-Berechnungen ist. Der Anteil der unteren 90 % am globalen Vermögen ist von 11,5 % im Jahr 2000 auf 18,3 % im Jahr 2019 gestiegen, gleichzeitig gilt, dass nicht mehr nur 8 Milliardäre weltweit so viel besitzen wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung (2016), sondern 162 Milliardäre. Stark simplifiziert ausgedrückt, sind also Milliardäre ärmer und die unteren 90 % reicher geworden; die Ungleichheit nahm faktisch ab.

Wie kommt es also, dass Oxfam die „Ungleichheitskrise“ ausruft? Eine von vielen Krisen oder Herausforderungen, Klimawandel, Strukturwandel und nun die große Dramatik um die weltweite Ungleichheit (oder Ungerechtigkeit?). Oxfam berücksichtigt bei seinen Berechnungen einen Faktor nicht: Das Einkommen. Dies ist ein Fehler; überhaupt ist es ein Fehler, eine (neue) Krise auszurufen und so den Eindruck zu erwecken, es würde sich nichts verbessern.

Äpfel und Birnen verglichen: Panikmache und unnötige Sorgen

Oxfam stellt quasi einen Vergleich von Äpfel und Birnen an, unterschlägt Verbesserungen und ruft eine Krise aus, die nur unnötige Ängste und Sorgen schürt – die Gesellschaft spaltet. Das bloße Abstellen auf Vermögen zur Beurteilung von Armut und Lebenschancen ist unzureichend. Ein überschuldeter College-Student in den USA steht kaum besser da als ein mittelloser Bauer in Äthiopien, wenn nur auf das (nicht vorhandene bzw. negative) Vermögen geblickt wird.

Überdies ist auch bereits fraglich, was Oxfam unter Armut versteht. Weniger als 6 US-Dollar/Tag oder doch weniger als 2 US-Dollar/Tag? Die Daten der Weltbank zeigen doch, dass – wenn über extreme Armut gesprochen werden soll – der Anteil der Weltbevölkerung, der von weniger als 1,90 US-Dollar/Tag lebt von 26 % im Jahr 2002 auf zuletzt knappe 10 % gesunken ist. Nicht weniger schwammig ist Oxfams diesjähriger Aufmacher: die großen Unterschiede zwischen Mann und Frau. 12 Milliarden Arbeitsstunden pro Tag und zudem unbezahlt, was stimmt hier nicht? Zunächst darf nicht vergessen werden, dass viele Paare gemeinsam die Entscheidung treffen, wer einem Lohnerwerb und wer Haushalt und Kindern nachgeht. Statt die individuelle Ebene muss eben auch die Haushaltsebene betrachtet werden, die formalen Unterschiede auf dem Papier fallen sodann in der Realität geringer aus. Die Erwerbstätigkeitsquote von Frauen lag dennoch im Jahr 2017 mit 71,5 % etwas unterhalb der 78,9 % der Männer. Insoweit ist die Forderung Oxfams, das auch Deutschland die Betreuungsinfrastruktur weiter ausbauen muss, berechtigt und (!) wichtig. Im Übrigen verkauft Oxfam aber schlechte Nachrichten, weil diese Nachrichten sich eben besser verkaufen.

EWF: Viel reden und nichts tun?

Nun wirft ja auch Greta Thunberg dem EWF vor, dass viel gesprochen, aber wenig getan wird und zudem auch gleich alle versagt hätten von links bis nach rechts. Aber auch das ist nur die halbe (wenn überhaupt) Wahrheit. Denn neben zahlreichen Initiativen die in Davos angestoßen wurden, etwa etwa zur Armutsbekämpfung sowie für die Rechte von Frauen oder Homosexuellen, gibt es für 2020 bereits ganz konkrete Pläne. Binnen zehn Jahren, also bis 2030, sollen eine Milliarde Menschen, also mehr als ein Siebtel der Weltbevölkerung, fit für neue Jobs gemacht werden, die mit der Digitalisierung entstehen.

Ebenfalls bis 2030 sollen eine Billion – das sind 1.000 Milliarden, eine 1 gefolgt von 12 Nullen – Bäume gepflanzt werden. Dass das manchen nicht reicht und dass allein damit sich der Klimawandel weder stoppen noch revidieren lässt, ist klar. Doch eine „Dekarbonisierung“, wie jüngst Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan forderte („Ich erwarte […] eine klare Unterstützung für eine Dekarbonisierung“), kann weder per Knopfdruck herbeigeführt werden noch würde er den Armen und Ärmeren dieser Welt helfen.

Davos und die Presseberichterstattung um das WEF zeigen jedenfalls, schlechte Nachrichten sind Nachrichten, die sich verkaufen; aber wer einen Blick auf die Fakten wirft, der weiß: Die Welt macht Fortschritte.

Über Oliver Krautscheid
Oliver Krautscheid betreibt das Wirtschaftsportal: https://www.oliver-krautscheid.com/oliver-krautscheid und das neue deutsche Internetportal für Drohnenenthusiasten: https://www.dronestagram.de. Der Autor ist erreichbar unter oliver@krautscheid.ch

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