Albanien und Nord-Mazedonien: Erst in die NATO, dann in die EU?

von , 18.12.2020, 21:45 Uhr

Noch vor dem Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Ende dieses Jahres soll auf Drängen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der Beitritt Nord-Mazedoniens und eventuell auch Albaniens in die Europäische Union eingeleitet werden. Wie fast immer in den letzten Jahrzehnten wird vor allem stets dann über eine Erweiterung der EU gesprochen, wenn diese – aus welchem Grund auch immer – selbst in einer Krise steckt. Auf der Flucht aus der eigenen Misere werden aktuell (wieder einmal) zwei Staaten umarmt, die man vorsichtig-zurückhaltend als „problematisch“ bezeichnen kann.

Bulgarien und Nord-Mazedonien sind sich spinnefeind

Nord-Mazedonien muß z.B. stets in einem engen Zusammenhang mit Bulgarien gesehen werden, welches dieses kleine Land inoffiziell noch immer als einen Teil von sich betrachtet und deshalb über sein Veto-Recht Nord-Mazedoniens EU-Beitritt zu verhindern droht. Dabei hat man in Sofia Nord-Mazedonien – im übrigen eines der ärmsten europäischen Länder – längst als eigenständigen Staat anerkannt. Doch Bulgariens Offizielle schweigen hierüber eisern; sie möchten weder in Gesetzestexten noch in Geschichtsbüchern etwas darüber lesen. Eine mazedonische Nation oder ein mazedonisches Volk soll es nach Sofias Willen einstweilen nicht geben.

Albaniens größtes Problem: Die wirtschaftliche Not

Auch Albanien ist von hoher wirtschaftlicher Not gekennzeichnet und viele vor allem jüngere Menschen haben das Land längst verlassen, oft in Richtung Deutschland. Albanien ist zusätzlich mit einem extrem korrupten Justizwesen geschlagen. Seit nunmehr vier Jahren versuchen EU-Spitzenjuristen erfolglos, dieses Problem zu lösen. Wie man vor diesem Hintergrund einen EU-Beitritt Albaniens überhaupt in Erwägung ziehen kann, ist schwer verständlich und kann nur mit der besonderen Struktur der EU selbst und den ständigen Einflüssen eines anderen Bündnisses, der NATO, erklärt werden.

Zunächst bleibt aber auch festzustellen, daß die einzelnen EU-Gremien nicht so stringent arbeiten, wie man es darzustellen pflegt. Es gibt praktisch keine klaren Zuständigkeiten, keine klaren Entscheidungen. Brüssel spielt sich zwar gerne als eine mächtige Steuerungsstelle auf, doch – sieht man einmal vom „obrigkeitshörigen“ Deutschland ab – kocht doch letztlich fast jedes Mitglied sein eigenes Süppchen und legt Wert darauf, als eigenständiger Staat zu agieren. Die stets gleichberechtigten EU-Mitglieder bilden so gesehen eher einen Stammtisch als ein möglichst geschlossen auftretendes Staatenbündnis.

NATO-Beitritt als Basis für EU-Beitritt

Und als ob die daraus resultierende Lage nicht schon kompliziert genug wäre, gehen von den verschiedenen Aktivitäten der NATO oft weitere Störfaktoren aus. Man betreibt im ebenfalls in Brüssel angesiedelten NATO-Hauptquartier nämlich eine eigene Politik, die wiederum die EU unter Zugzwangbringen kann. Denn es ist der NATO-Verbund, der für die äußere Sicherheit der meisten EU-Staaten steht und der seit dem Ende des Kalten Krieges eine beispiellose und mit der früheren Sowjetunion niemals abgestimmte „Osterweiterung“ betrieb und noch betreibt. Dabei schert man sich in Brüssel wenig um die NATO-Statuten, die als Bedingungen für eine Mitgliedschaft z.B. die Achtung der Menschenrechte und ein einigermaßen funktionierendes Justizsystem vorsehen. Vor allem wer ehedem in Teil des Warschauer Paktes war, kann offenbar NATO-Mitglied werden, ohne auch nur die geringsten Mindestanforderungen erfüllen zu müssen.

So war in den letzten 20 Jahren immer wieder folgende Systematik zu beobachten: Die NATO nahm im Zuge ihrer Osterweiterung neue Mitglieder auf und die EU „stolperte“ gewissermaßen hinterher. So traten z.B. Polen, die Tschechische Republik und Ungarn 1999 in die NATO ein und dann 2004 in die EU. 2002 gelangten Bulgarien, die baltischen Staaten, Rumänien, die Slowakei und Slowenien zur NATO und dann ebenfalls 2004 zur EU. Jetzt scheint es in Sachen Nord-Mazedoniens zu drängen, weil dieses in diesem Frühjahr der NATO beitrat. Und daß Albanien, das bereits 2009 zur NATO kam, noch kein EU-Mitglied ist, liegt nur am extrem schlechten Zustand seines Justizsystems (siehe oben).

Jens Stoltenberg zieht im Hintergrund die Fäden

Es ist vor allem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der im Hintergrund die Fäden zieht. Er verstand es bis jetzt immer wieder, die für die jeweiligen NATO-Erweiterungen erforderlichen Mehrheiten zu gewinnen. Und vor nicht allzu langer Zeit rieb sich an ihm auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erfolglos, als er die NATO als „hirntot“ bezeichnete. Es wurde lediglich ein Arbeitskreis gebildet, der einen engeren Zusammenhalt und eine bessere Abstimmung empfahl und die einzelnen NATO-Mitglieder aufrief, auf Einspruchsrechte zu verzichten und lieber die Zentrale zu stärken.

Es war ganz eindeutig Stoltenbergs „Handschrift“, die auch hier durchschien. Wie es mit der EU weitergehen wird, ist vor diesem Hintergrund ganz klar: Nord-Mazedonien wird ihr in absehbarer Zeit beitreten und auch Albanien dürfte – vielleicht aber zu einem etwas späteren Zeitpunkt – folgen. Es bleibt in diesem Zusammenhang dann noch ein Blick auf Montenegro, ein weiterer Westbalkanstaat. Es ist ebenfalls NATO-Mitglied und wurde bereits 2012 als EU-Beitrittskandidat eingestuft . . . (tb)


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