Das Ringen um die Plattformen

von , 22.05.2019, 20:15 Uhr

Die diesjährige re:publica war größer und breiter denn je. Ein Fokus galt den großen Internet-Plattformen und wie ihnen zu begegnen ist.

Auch wenn man die diesjährige re:publica zehn Tage sacken lässt, um getreu ihrem Motto „tl;dr“ – einem Plädoyer gegen oberflächliche Wischgesten und für langes Lesen und gründliches Denken – in Ruhe zu resümieren, es will sich partout kein Fazit aufdrängen.

Fotoquelle: Stefanie Loos/re:publica CC BY 2.0

Eher bleibt das typische Wimmelbild im Kopf, das jährlich immer wimmeliger wird. Denn die re:publica wird jährlich größer und inhaltlich breiter. Diesmal referierten und debattierten 1.000 Sprechende in 500 Panels, aufgeteilt in 8 Tracks und 16 Topics. Laut Veranstaltern verfolgten das rund 25.000 Besucherinnen und Besucher drei Tage lang.

Für die „Media Convention Berlin“ (MCB), die seit vielen Jahren fest zum re:publica-Repertiore gehört, könnte das Thema „Plattformen“ als roter Faden gelten. Damit sind zum einen gemeint die global agierenden Internet-Unternehmen und deren hochprofitable Plattformen, wie Google und YouTube, Amazon, Facebook inklusive WhatsApp und Instagram, sowie Apple, Netflix und Spotify.

Zum anderen zog sich der Ruf nach originär europäischen und konkurrenzfähigen Medienplattformen – ob nun öffentlich-rechtlich, privat oder übergreifend, Hauptsache groß genug – durch mehrere Panels und Vorträge.

Hauptsache Regulierung

Hinsichtlich der Tech-Giganten Google, Facebook und Co. waren sich die Panels – abgesehen von den anwesenden Vertreter*innen derselben – stets schnell einig, dass man gegen sie dringend etwas unternehmen müsse. Ihre Marktmacht müsse aufgebrochen werden und sie müssten mehr Selbstkontrolle üben. Ob nun mit Hilfe einer Digitalsteuer, mittels Wettbewerbs- und Kartellrecht oder mit mehr oder weniger scharfen Regulierungen zu Datenschutz, Urheberrecht und weiteren (Rechts-)Bereichen, war den meisten Sprecher*innen egal – Hauptsache Regulierung.

Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt erklärte, dass nicht nur Googles Marktanteil von 95 Prozent bei Suchmaschinen seine Behörde auf den Plan rufe. Vielmehr sei die Menge der Nutzungsdaten, die Google seit 20 Jahren anhäufe und für sich behielte, „ein überragender Marktmachtfaktor“, der laut Kartellgesetz zu hinterfragen sei. Ähnliches gelte für Facebook. Das Netzwerk hat in Deutschland über 80 Prozent Marktanteil bei den Anbietern von „Rich Social Experience“ und sei daher als Monopolist zu betrachten.

Mundt wies auf die jüngst erlassene Vorgabe seiner Behörde hin, wonach das Unternehmen die Nutzungsdaten von Facebook, Whatsapp und Instagram nicht automatisch zusammenführen darf – die Nutzer dürfen dem nun widersprechen. Ohne zu erläutern, wie Facebook und die Nutzer damit nun umgehen, bezeichnete er dies als wirksame Maßnahme und postulierte: „Wir können die Unternehmen intern entflechten.“

Allerdings räumte er ein, dass die Wettbewerbsbehörden erst dann eingreifen könnten, wenn ein Missbrauch schon stattgefunden hat. Mundt: „Wenn ein großes Unternehmen in einen neuen Markt geht, muss das zunächst als Wettbewerb belebendes Element betrachtet werden – wohl wissend, dass da ein Gigant mit zwei Milliarden Kunden und diversen anderen Diensten kommt, der gleich eine große Marktmacht hat.“

Verpflichtende Freigabe von Daten?

EU-Wettbewerbs-Kommissarin Margrethe Vestager plädierte in ihrer re:publica-Rede dafür, die Internet-Giganten dazu zu verpflichten, auch kleineren, konkurrierenden Unternehmen Zugang zu ihren Daten zu verschaffen – um mehr Wettbewerb zu ermöglichen. Eine Zerschlagung der Konzerne halte sie für das letzte aller Mittel.

Ähnlich war der Tenor bei anderen Panels. Die Datenvorräte der Tech-Riesen sollten in bestimmten Bereichen per Gesetz offengelegt werden, etwa damit Kommunikationswissenschaftler erforschen könnten, welche Wirkungen das Rauschen der Netzwerkkommunikation – mitsamt Falschmeldungen, Propaganda und Hassreden – tatsächlich auf die Menschen und ihr Medienverhalten hat. Oder damit gesellschaftlich relevante Daten zum Wohle aller nutzbar sind, etwa zu Nahverkehrs- und Transportfragen, für medizinische Forschung oder soziokulturelle Studien.

Ingrid Schneider, Professorin an der Universität Hamburg, hält dabei allerdings ein „Dateneigentum“ für den falschen Ansatz: „Es gibt Daten, die gesellschaftlich brauchbar sind, aber es geht mehr um die Verfügungsrechte über solche Daten.“ Sie schlug eine Treuhänderschaft vor, als drittes Modell zwischen Staat und Markt. Diese Treuhandanstalt für Daten soll den Plattformen als Aufsicht vorgeschaltet sein. An so einem Konzept werde in Nordrhein-Westfalen bereits gearbeitet, so Schneider.

Braucht es die Mega-Streaming-Plattform gegen Netflix und Co.?

Auch die großen Streaming-Plattformen, wie Netflix, Spotify und andere, die in den Startlöchern stehen – wie Disney und Apple – wurden bei der Media Convention kontrovers diskutiert. In mehreren Panels ging es darum, wie der schier übermächtigen Konkurrenz aus den USA etwas entgegenzusetzen sei.

Ein häufig genannter Vorschlag war eine Mega-Streaming-Plattform europäischer Anbieter, allen bisher erfolglosen Versuchen zum Trotz. So scheiterte unter anderen das von der BBC getragene Projekt „Kangaroo“ ebenso wie die beiden deutschen Versuche „Amazonas“ (RTL mit ProSiebenSat1) und „Germanys Gold“ (ARD und ZDF) an Regulierungshürden und wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Inzwischen seien es aber die EU-Regierungen selbst, die eine Kooperation zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern fordern – und ermöglichen wollen.

Tatsächlich kündigten Vertreter*innen von ProSiebenSat1 bei der Media Convention den Start einer neuen Streaming-Plattform zusammen mit dem Discovery Channel an, die eine breite Abdeckung erreichen will. Wie kurz nach der re:publica bekannt wurde, soll ab Juni 2019 unter dem Namen „Joyn“ ein Abspiel-Portal für den deutschsprachigen Markt starten, das mehr als 50 Sender, private wie öffentlich-rechtliche, umfasst.

Finanziert mehrheitlich durch Werbung und dadurch in großen Teilen kostenlos und frei verfügbar, soll die Plattform sowohl eigenproduzierte Serien und Shows, als auch lokale Inhalte und exklusive Previews anbieten, dazu Inhalte der assoziierten Sender. Neben den kostenfreien Angeboten sollen Bezahlinhalte zur Verfügung stehen, beispielsweise Fussballspiele und Spielfilme. Laut Nicole Agudo Berbel von ProSiebenSat.1 sei geplant, mit der European Media Alliance zu kooperieren, einem Zusammenschluss von gut einem Dutzend privater Sender aus ganz Europa.

Oder ein öffentlich-rechtliches Online-Portal?

Trotz der vollmundigen Ankündigungen und vielen wohlwollenden Kooperationsbekundungen, etwa seitens des ZDF, äußerten sich auf mehreren Panels einige eher skeptisch gegenüber dieser Mega-Plattform, wie etwa Jörg Meyer von der Online-Plattform Zattoo, einem TV-Stream-Aggregator.

Viele Sender und ihre Inhalte an einem Ort wären zwar gut, so auch der Tenor bei Markus Heidmeier vom Medienproduktionsfirma Kooperative Berlin. Doch seiner Auffassung nach hätte das Ganze gegenüber milliardenschweren Platzhirschen wie Netflix trotzdem wenig Chancen, weil die europäischen Produzenten und Sender mit deutlich geringeren Budgets auskommen müssen und daher weder in der Qualität noch bei der Quantität mithalten können. Auch ob sich die neue Plattform über Werbung und angedockte Bezahlinhalte langfristig finanzieren ließe, hielt er für zweifelhaft.

Wie schon bei der re:publica 2018 plädierte Leonard Dobusch (Universität Innsbruck, Mitglied des ZDF Fernsehrats) auch dieses Jahr dafür, die Kräfte der öffentlich-rechtlichen Sender zu bündeln und ein ebenso großes, wie solides und offenes Online-Portal zu bauen. Seit letztem Jahr habe sich zumindest die medienpolitische Lage etwas verändert, wie Dobusch erläuterte.

Dank reformierter Regelungen im Telemedienauftrag dürften ARD, ZDF und Deutschlandradio seit 1. Mai 2019 reine Online-Angebote unabhängig vom linearen Programm entwickeln. Darüber hinaus haben sie nun mehr „Verlinkungsfreiheit“: Sie dürften in ihren Mediatheken gegenseitig auf Inhalte verlinken, sie können einen gemeinsamen Zugang einrichten und den Nutzer*innen personalisierte Inhalte anbieten. Dies alles könnte sie einem gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Online-Portal näher bringen. Das sei zu begrüßen, so Dobusch – und sollte am besten sofort angegangen werden.

Datenstandards und Schnittstellen

Damit aus diesen Möglichkeiten allerdings so etwas wie eine „digitale Infrastruktur mit transparenten Algorithmen und einem auf europäischen Werten basierenden Datenschutz“ wachsen kann, bedürfe es allerdings konkreter Anstrengungen, kommentierten Dobusch und auch Jan Penfrat von der European Digital Rights Initiative (EDRi) während der Media Convention.

Dazu seien beispielsweise einheitliche Datenstandards und Metadatenschnittstellen erforderlich. Für Dobusch spiele nach wie vor eine entscheidende Rolle, dass die öffentlich-rechtliche Plattform auch für zivilgesellschaftliche Organisationen und nutzergenerierte Inhalte offen sei. Sie sollte ihnen endlich eine verlässliche und vertrauenswürdige Alternative zu Youtube, Facebook und anderen Plattformen bieten, um ihren Content hochzuladen.

Hierbei käme es darauf an, dass die Öffentlich-rechtlichen aus den Fehlern der Tech-Giganten lernten, so Jan Penfrat. Die privaten digitalen Plattformen könnten es sich nicht verkneifen, so Penfrat, nicht nur auszuwerten, wie sich die Nutzer verhalten, sondern diese Daten auch mit anderen Daten zu verknüpfen und verkäuflich zu machen. Demgegenüber sollten die öffentlich-rechtlichen Sender auf ihrer Plattform mit Daten bewusst sorgsamer umgehen. Zudem könnten sie auch in puncto Jugendschutz gründlicher vorgehen.

Aus dem Publikum kam die Frage, inwieweit es bei solchen öffentlich-rechtlichen Portalen auch Mechanismen geben soll, die beispielsweise die vorhandenen Inhalte vorsortieren oder individualisierte Empfehlungen geben. Genau solche Fragen – wie müssen öffentlich-rechtliche, datenschutzkonforme und transparente Empfehlungsalgorithmen aussehen? – gehören vermutlich auf die Agenda für ein solches Portal. Und in die Wiedervorlage für die nächste re:publica (6. bis 8. Mai 2020).

Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung Lizenz 2.0 Germany am 21.05.2019 auf irights.info erschienen. Der Autor ist Henry Steinhau.

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