Eine Welt ohne Zinsen

von , 20.09.2020, 10:52 Uhr

Nullzinsen, in manchen Fällen sogar „Strafzinsen“ unter Null, begleiten die europäischen Sparer bereits seit einigen Jahren. Für das Ersparte gibt es also keine Zinsen und eine zwar nicht sonderlich hohe, aber beständige Geldentwertung sorgt dafür, daß die Spargroschen jedes Jahr etwas weniger wert werden.

Nullzinsen für immer?

Die meisten Sparer trösten sich dabei mit der Illusion, daß diese Nullzinsen nur eine vorübergehende Erscheinung sein dürften und schon bald wieder für die Sparer bessere Zeiten kommen würden. Doch spätestens jetzt dürfte klargeworden sein, daß dieser eigentliche Ausnahmezustand noch für geraume Zeit zur vorgeblichen Normalität zählen wird. Es braucht wohl erst einen Crash, einen Zusammenbruch des gegenwärtigen Währungs- und Finanzsystems, bis auch geldpolitisch wieder der volkswirtschaftliche Wert des Sparens – und dessen zinstechnischer „Würdigung“ – erkannt und berücksichtigt wird.

Schulden machen ohne Offenbarungseid

Gegenwärtig findet jedenfalls eine dramatische Umwälzung und Umverteilung statt zwischen den Sparern, denen mit Zinsverlust und Geldentwertung ein jährlicher Verlust von rund 4 % ihrer Sparguthaben zugemutet wird, während die hoch verschuldeten und nach wie vor mit dem Geld um sich werfenden Staaten auf diese Weise überhaupt nur noch in die Lage versetzt werden, ihre Schuldenlast zu tragen, ohne den haushaltstechnischen Offenbarungseid ablegen zu müssen.

Ins Absurde geführt werden dabei im übrigen auch die bisher gängigen Verfahren der Investitionsrechnung, bei denen Zinsen und Risiken positiv korrelieren, also einhergehen. Doch nun kostet Geld zunächst praktisch nichts, weshalb es auch für manche unsinnige Investition eingesetzt wird. Aber diese „Nullkosten“, das wird gerne übersehen, beziehen sich nur auf die Zinsen. Was ist dann mit der späteren Tilgung?

Gesellschaftliche Bedeutung des Sparens wird unterschätzt

Die gesellschaftliche Wertschätzung des Sparens, ja auch der Sparer selbst, ist in diesem Zusammenhang längst zurückgegangen. Wer noch die Kunst des bewußten Verzichts zur Erreichung späterer Ziele beherrscht, wer also zu sparen vermag, wird manchmal schon als „Depp“ angesehen. Wer sich jedoch vom „Ersten zum Ersten“ hangelt und dabei auf fremde Hilfe in Form von z.B. Kleinkrediten, Ratenkauf oder Leasing zurückgreift, gilt als modern und lebensfroh. Genau dies ist aber der Weg in eine zunehmend infantilisierte und damit unfreie Gesellschaft. Außerdem kann eine für die Zukunft mehr denn je geforderte private Altersvorsorge auf diese Weise kaum mehr erreicht werden. Die Folge ist eine wohl gewünschte, zunehmende Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen, mithin des Staates. Wir können deshalb getrost davon ausgehen, daß uns die „Nullzinsen“ noch für geraume Zeit begleiten werden, sofern es nicht schneller als erwartet zu einem Zusammenbruch des Systems kommt. (tb)


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