EU-Gipfeltreffen: Geschacher in Brüssel

von , 29.07.2020, 20:31 Uhr

Auf dem kürzlichen EU-Gipfeltreffen muß es bei den Gesprächen der 27 Staats- und Regierungschefs zuweilen chaotisch zugegangen sein. So war z.B. aus Brüssel zu erfahren, daß Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – dessen Finanzvorstellungen von den „sparsamen Fünf“ (Niederlande, Dänemark, Österreich, Finnland und Schweden, die Problemstaaten wie Italien oder Spanien am liebsten nur rückzahlbare Kredite gewähren würden) immer wieder attackiert wurden – einmal in Richtung der „Sparwilligen“ sagte:

Macron: Angela steht an meiner Seite

„Ihr haltet mich vielleicht für einen Spinner mit meinen A-fonds-perdu-Beiträgen, aber Angela steht an meiner Seite.“ Und er schlug dabei mit der Faust auf den Tisch. Als ein anderes Mal Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz den Verhandlungssaal für ein Telefongespräch verließ, ätzte Macron:

„Seht Ihr? Er kümmert sich nicht. Er hört den anderen gar nicht zu. Er interessiert sich nur für seine Presse und basta.“ Stein des Anstoßes war bekanntermaßen stets die Frage, wie viele der insgesamt 750 Corona-Milliarden in Kreditform bereitgestellt werden sollen und wie viele als nicht rückzahlbare Zuschüsse („A-fonds-perdu“).

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Macron hatten sich bekanntermaßen bereits im Vorfeld des Gipfeltreffens darauf verständigt, daß – ginge es nach ihnen – 500 Mrd. € in Form verlorener Zuschüsse gezahlt werden sollten. Nach heftigen Interventionen u.a. von Kurz einigte man sich schließlich auf einen Zuschußanteil von „nur“ 390 Mrd. € und einen Kreditanteil in Höhe von 360 Mrd. €.

Der 1. Gewinner: Sebastian Kurz

So gingen nach Verhandlungsende einige als „Gewinner“ und andere als „Verlierer“ nach Hause. Zu den Gewinnern zählt in erster Linie Sebastian Kurz. Bestimmt in der Sache und verbindlich im Ton gelang es diesem politischen Ausnahmetalent, die Vertreter der anderen „sparsamen Vier“ hinter sich zu einen, in einer Art Bündnis der Vernunft. Und weil er klar durchblicken ließ, daß auch ein Zuschußanteil von 390 Mrd. eigentlich noch viel zu hoch sei, gab es für die „sparsamen“ Staaten weitere EU-Beitragsrabatte.

Für Österreich stieg dieser beispielsweise von 237 Mio. jährlich auf 565 Mio. jährlich. Ein Ergebnis, mit dem Sebastian Kurz wohl guten Gewissens wieder nach Wien fahren konnte. Die Niederlande „sparen“ nun im Jahr weitere 300 Mio. € an EU-Beiträgen, Dänemark etwa 320 Mio. und Schweden gar mehr als eine Milliarde!

Der 2. Gewinner: Giuseppe Conte

Auf der eher „anderen Seite“ steht der zweite große Gewinner des EU-Gipfels, Italiens Regierungschef Giuseppe Conte. Er sprach von einem „historischen Moment für Italien“, weil er nicht nur mehr Geld als erwartet herausschlug, sondern auch den niederländischen Vorschlag eines Vetorechts bei der Zuschußauszahlung abwehrte. Das italienische Unvermögen, eine funktionierende Steuerverwaltung aufzubauen, bleibt damit bis auf weiteres nicht sanktioniert. Gewonnen hat auch Macron, dem es offenbar gelang, der deutschen Kanzlerin den französischen Etatismus nahezubringen. „Verloren“ haben damit die Idee der Sozialen Marktwirtschaft und das bisherige „Verbot“ einer Schuldenvergemeinschaftung. Und nicht zuletzt werden auch die deutschen Steuerzahler leiden.

Burgerverdruß wird zunehmen

Gleichzeitig wird nach Auffassung anderer Beobachter die Zukunft der EU (einer ehemals bestechenden Idee von Frieden und Freiheit in Europa auf Basis weitgehend autonomer Nationalstaaten) unsicherer denn je. Denn je mehr sich die EU zu einem auf Dauer angelegten und nach immer mehr Dominanz strebenden Herrschaftssystem entwickelt, umso mehr wird z.B. auch der Bürgerverdruß zunehmen.

"Historisch"

Der nun erfolgte Einstieg in die „Schuldenunion“ wird von den meisten unkritischen Medien als „historisch“ bezeichnet. Vielleicht müssen spätere Geschichtsschreiber diesen Tag als Beginn einer zunehmenden Erosion der EU bezeichnen, die durchaus in deren Ende münden könnte. Diese Entwicklung aufhalten könnte jetzt nur noch das Europäische Parlament, das die Gipfelbeschlüsse noch absegnen muß, worüber bei Redaktionsschluß dieser „Vertraulichen“ noch nicht abschließend entschieden wurde. (tb)


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