Frankreich: Marsch in Richtung „Frexit“?

von , 24.12.2019, 12:36 Uhr

In Frankreich kam es im Dezember bekanntlich zu mehreren Generalstreiks, organisiert von Gewerkschaften und Vertretern der Gelbwesten-Bewegung. Die Proteste richteten sich gegen die von der Regierung beabsichtigte Rücknahme mancher sozialer Wohltaten, die das hochverschuldete Frankreich (2,4 Billionen € Schulden) in absehbarer Zeit nicht mehr wird finanzieren können. Federn lassen sollen u.a. die französischen Rentner, die sich noch über ein im internationalen Vergleich hohes Rentenniveau (rd. 74 % des früheren Nettoeinkommens, im Schnitt der OECD-Länder sind es etwa 50 %) sowie ein offizielles Renteneintrittsalter von nur 62 Jahren (tatsächlich sind es im Schnitt nicht einmal 61 Jahre!) freuen können.

Französische Staatsquote bei 56 %

Im Laufe der Jahrzehnte kletterten die französischen Steuern und Sozialabgaben dadurch auf ein internationales „Spitzenniveau“. Aktuell liegt in Frankreich die offiziell ermittelte Staatsquote deshalb bereits bei 56 % der Wirtschaftsleistung, in Deutschland sind es nach dieser Berechnungsmethode erst 44 %. Und weil bei den aktuellen Protesten nicht nur eine Beibehaltung der aktuellen Zahlungen gefordert wird, sondern angesichts der auch in Frankreich herrschenden Konjunkturrisiken deren Ausweitung, läuft aktuell vieles auf eine noch deutlich höhere Staatsquote hinaus.

Und viele Protestteilnehmer meinen auch ganz genau zu wissen, daß sie die gegenwärtige Misere nicht vielleicht jahrzehntelang überhöhten Sozialleistungen zu verdanken haben, sondern vor allem der Europäischen Union, die Paris in den vergangenen Jahren einen zu strikten Sparkurs aufgezwungen habe.

Franzöisischer Sozialstaat basiert auf dem Euro

Ohne EU und Euro, das hieß es am Rande der Protestaktionen immer wieder, könnte der französische Sozialstaat nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar noch ausgebaut werden. Wer dies behauptet, könnte zwar ebenso gut behaupten, aus Wasser Schlagsahne herstellen zu können, doch das stört die meisten Demonstranten bis heute nicht. Die neuen Anti-EU-Parolen bringen in Brüssel schon jetzt in Erinnerung, daß es gerade Frankreich war, das im Jahr 2005 mit einer entsprechenden Volksabstimmung die angestrebte Einführung einer EU-Verfassung zu Fall brachte und daß aus der letzten EU-Wahl im Mai 2019 die EU- und Euro-kritische Marine Le Pen als Quasi-Siegerin hervorging. Wenn aktuell auch (noch) der „Brexit“ im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht – in Frankreich bahnt sich längst ein (noch inoffizieller) „Frexit“ an! (tb)


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