Syrische Flüchtlinge in der Türkei: „Man glaubt gar nicht mehr, daß man in Istanbul ist“

von , 11.08.2021, 12:44 Uhr

In der Türkei wächst der Hass auf syrische Flüchtlinge, arabische Touristen und Immobilieninvestoren aus dem arabischen Raum. Durch Istanbul spazieren immer mehr Familien aus der Golf-Region, in den Einkaufszentren wird Arabisch gesprochen und auf den Straßen betteln syrische Flüchtlingskinder.

„Man glaubt gar nicht mehr, daß man in Istanbul ist“, schimpfte kürzlich eine türkische Einwohnerin. Es geht dabei nicht nur um etwa 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge und zahlreiche arabische Touristen, sondern auch um Immobilieninvestoren aus dem arabischen Raum, die mit einem Haus auch gleich türkische Pässe für ihre ganze Familie kaufen. Dies kommt einer Einladung des türkischen Staates gleich, die vor allem wohlhabende Iraner, Iraker und Saudis gerne annehmen. Zumal, weil der erforderliche Kapitaleinsatz überschaubar bleibt: Geeignete Immobilien sind aktuell ab umgerechnet rund 250 000 € zu haben. In den der syrischen Grenze benachbarten Städten leben inzwischen teilweise mehr Syrer als Türken. Aber auch alteingesessene Istanbuler fühlen sich angeblich wie „Fremde in der eigenen Stadt“. In manchen Stadtteilen gibt es längst mehr arabische als türkische Ladenschilder.

Geflohene Afghanen als  „Schicksalsfrage“ für das ganze Land

In der Politik hat nun die Opposition dieses Thema für sich entdeckt. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der kemalistischen Partei CHP forderte bereits eine Rückführung syrischer Flüchtlinge in ihre Heimat und er sprach wegen der steigenden Zahl geflohener Afghanen längst von einer „Schicksalsfrage“ für das ganze Land. Präsident Recep Tayyip Erdogan wirkt in dieser Frage wie auf dem falschen Fuß erwischt.

Toleranz vieler Türken sinkt deutlich

Tatsächlich konnte er sich insbesondere hinsichtlich der syrischen Flüchtlinge über Jahre hinweg auf die Toleranz der meisten Türken verlassen. Doch das ist vorbei und Erdogan scheint hier die Entwicklung verpasst oder sie nicht ernst genommen zu haben. Er solle doch seinen 1000-Zimmer-Palast in Ankara mit Afghanen füllen, sagte kürzlich einer seiner Kritiker. Und der Oppositionschef spricht bezüglich der Flüchtlingsfrage längst von einer „Marionette der Europäer“. Zunächst habe Erdogan die Interessen der Türkei für 6 Mrd. € an die Europäer verkauft, heißt es, und auch nachdem die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Sache weitere drei Milliarden versprach, habe Erdogan stillschweigend das Geld akzeptiert. Erst als Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz von der Türkei als dem „richtigen Ort“ für afghanische Flüchtlinge gesprochen hatte, reagierte die türkische Regierung mit dem Hinweis, ihr Land sei kein Flüchtlingslager für Europa.

Die Flüchtlingsfrage wird in der Türkei also immer kontroverser diskutiert. Man muß kein Hellseher sein um zu befürchten, daß sich daraus durchaus auch neue Flüchtlingsströme nach Europa ergeben können! (tb)


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