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Artikel 13: CDU behauptet Demonstranten seien gekauft! Wo sind die Beweise?
Die Diskussion um Art. 13 hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Nach den Demonstrationen am 23. März behaupten hochrangige Vertreter der CDU im Europaparlament, dass die Demonstranten gekauft seien. Konkret wird in der Bild-Zeitung behauptet, es seien bis zu 450 € Demogeld für die Demonstranten geflossen. Eine absolute Lüge. Doch kann man die Verbreitung solcher Lügen rechtlich verbieten lassen? Wir klären die juristische Situation in diesem Video. Ähnliche Beiträge zu diesem Thema Martin Kretschmer: „Die EU würde wenig verlieren, wenn sie die Richtlinie einfach ablehnt“ (23.03.2019) Ermöglichen Artikel 9a und „verpflichtende Pauschallizenzierung“ Auswege aus dem Uploadfilter-Dilemma? (20.03.2019) Kommt die EU-Richtlinie entweder ganz oder gar nicht – oder geht auch „halb“? (12.03.2019) Artikel 13: EU veröffentlicht Lobby-Video & Wikipedia will abschalten (08.03.2019) Artikel 13: Kann der Gegenvorschlag funktionieren? (02.03.2019) Artikel 13 und Axel Voss (CDU): "Meinungsfreiheit auch mal eingegrenzt wird" (01.03.2019) EVP-Fraktion fordert neue und faire Urheberrechtsregelungen für die digitale Welt von heute (01.03.2019) Die Aktie von Axel Springer oder warum das neue EU-Urheberrecht scheitern wird (01.03.2019) Worum es beim Streit um Uploadfilter und Leistungsschutzrecht geht (28.02.2019) Praxisfern und unrealistisch: Ist Artikel 13 das dümmste Gesetz der Welt? (27.02.2019) 24.03.2019
Martin Kretschmer: „Die EU würde wenig verlieren, wenn sie die Richtlinie einfach ablehnt“
Mit der geplanten Lizenzierungspflicht für Internet-Plattformen schädigt die EU-Urheberrechts-Richtlinie das Gleichgewicht im Urheberrecht, meint der Rechtswissenschaftler Martin Kretschmer. Sie sei nicht wirklich umsetzbar, außerdem wird der Europäische Gerichtshof Plattformen ohnehin bald in die Haftungspflicht für Urheberrechtsverletzungen nehmen. iRights.info: Die geplante EU-Urheberrechts-Richtlinie will Internetplattformen, auf denen man Inhalte hochladen und nutzen kann, dazu verpflichten, Lizenzen zu erwerben und für Urheberrechtsverletzungen zu haften. Sie sollen Urheber und Rechteinhaber an ihren Umsätzen beteiligen und illegale Uploads verhindern. Ist das ein gutes Konzept? Martin Kretschmer: Die Richtlinie enthält ein grundlegendes Missverständnis, und das ist diese Lizenzierungspflicht. Es ist klar, dass damit auf Youtube gezielt wird, aber es ist völlig unklar, wie die Lizensierungspflicht in der Praxis für die vielen anderen Plattformen, Anbieter und Nutzungsfälle funktionieren soll. Nehmen wir zwei Beispiele: Auf Twitter wird ein Foto eines politisch unerwünschten Dokuments hochgeladen, das der Rechteinhaber nicht gerne in der Öffentlichkeit sehen will. Oder nehmen Sie eine Plattform, die auf Werbung aus den 1950er Jahren spezialisiert ist. Beides sind charakteristische Internet-Innovationen, die einen kulturellen und gesellschaftlichen Wert haben. Wo sollen die Plattformen die erforderlichen Lizenzierungen für diese Werke herbekommen? An wen soll sich Twitter wenden, um unerwünschte Dokumente zu lizensieren? An wen soll sich eine Plattform wenden, um Werbeinhalte der 1950er Jahre zu klären? iRights.info: Es soll Ausnahmen geben, etwa für Unternehmen, die jünger als drei Jahre sind, weniger als zehn Millionen Euro Umsatz machen und deren Plattform unter fünf Millionen monatliche Besucher verzeichnet. Martin Kretschmer: Dazu ein weiteres Beispiel: Ein Betreiber startet eine Online-Plattform über Frühformen des Gaming. Nutzer laden Bilder oder Videos hoch, es entsteht ein typischer nutzergenerierter Austausch. Doch bei vielen Uploads dürfte die urheberrechtliche Lage nicht einfach sein – aber filtern muss der Betreiber dank der Ausnahme noch nicht. Die ersten drei Jahre profitiert er von der Ausnahmeregelung – doch was macht er danach? Keiner weiß, wer bei diesen frühen Games welche Rechte hat, da geht es um die Software, die Visualisierungen, die Sounds, womöglich Musik. iRights.info: Laut Richtlinie muss der Betreiber sich bemühen, Lizenzen zu erwerben oder Rechte einzuholen. Martin Kretschmer: Nehmen wir an, der Betreiber recherchiert, sucht, schreibt E-Mails an Foren, doch das bleibt alles ohne Erfolg. Vielleicht kann er sich dann im Sinn der Richtlinie, Artikel 13 Absatz 4a und 4b, darauf berufen, bestmögliche Anstrengungen unternommen zu haben, um Rechteinhaber aufzufinden und Lizenzen zu erwerben. Oder es melden sich – obwohl es eher unwahrscheinlich ist, dass sich Entwickler aus den 1970er oder 80er Jahren regen – womöglich einzelne Rechteinhaber bei ihm und mahnen Urheberrechtsverletzungen an. Dann müsste er die Inhalte sofort herunternehmen. „Diese Richtlinie drängt die Handelnden in die Defensive“ iRights.info: Diese „bestmöglichen Anstrengungen“ beziehungsweise das Löschen nach Hinweis würden ihn laut Artikel 13 Absatz 4c vor der Haftung bewahren. Martin Kretschmer: Es könnte durchaus sein, dass sich nach Erlass dieser Richtlinie die Wirklichkeit in diese Richtung bewegt. Es könnte sich aber auch herausstellen, dass eines der großen Game-Studios bestimmte Rechte an alten Games übernommen hat und sich nun bei der Plattform meldet. Wie soll die in dieser unklaren Rechtslage handeln? Aus Erfahrung weiß man: Tritt ein solches Haftungsrisiko auf, wird defensiv gehandelt. Und das bedeutet entweder, die Inhalte zu filtern, das Uploaden nicht mehr zuzulassen oder den Dienst ganz einzustellen. Diese Richtlinie drängt die Handelnden in die Defensive – weil als oberste Pflicht die Pflicht zur Lizenzierung steht. iRights.info: Es heißt, die Plattformen würden in den Verwertungsgesellschaften zentrale Ansprechpartner für die Lizenzierung von Online-Nutzungen finden. Martin Kretschmer: Es gibt keine Verwertungsgesellschaften für Dokumente, die politisch relevant sind und möglichst nicht in die Öffentlichkeit gelangen sollten, ebenso wenig wie eine Verwertungsgesellschaft für Ton- und Filmaufnahmen der Werbung aus den 1950er Jahren. Dazu kommt noch, dass angesichts der zahlreichen Urheber, die daran beteiligt waren, die Lizenzlage völlig verschwommen ist. Das interessante, innovative Potenzial von Plattformen für User-generated-Content liegt darin, dass man dort etwas findet, von dem man nicht wusste, dass es kulturellen oder wirtschaftlichen Wert hat. Doch solche Inhalte und Nutzer sind typischerweise genau die, die lizenzrechtlich gesehen nicht organisiert sind. iRights.info: Die Richtlinie soll den Verwertungsgesellschaften die Möglichkeit geben, auch für solche Inhalte und Werke Lizenzen zu erteilen, deren Urheber (noch) gar keine Wahrnehmungsverträge mit ihnen haben, sogenannte erweiterte kollektive Lizenzen. Martin Kretschmer: Im betreffenden Artikel 9a steht, dass die Mitgliedsstaaten diese gesetzliche Regelung einführen können, aber nicht müssen. Dies ist keine Harmonisierungsmaßnahme und steht damit dem Ansatz der Richtlinie entgegen. Sie will einen „Digital Single Market“, einen digitalen Binnenmarkt erreichen, doch das geht nur, wenn solche Regelungen für alle Staaten gelten. Dazu kommt, dass die Verwertungsgesellschaften laut Artikel 9a diese Lizenzierungen lediglich in genau festgelegten Nutzungsbereichen vornehmen dürften. In vielen EU-Ländern gibt es für viele Werk- und Nutzungsarten keinen zentralen Ansprechpartner für die verpflichtende Lizenzierung. „Den ohnehin problematischen Artikel 13 brauchen wir gar nicht“ iRights.info: Große Verwertungsgesellschaften, wie die GEMA, fungieren schon jetzt als eine Art Generalunternehmer. Sie sammeln im Auftrag anderer Verwertungsgesellschaften Vergütungen ein und verteilen diese. Martin Kretschmer: Das gilt für Lizenzierungen für Musik. Dort sehe ich auch kein Problem, weil die Infrastrukturen vorhanden sind. Wir brauchen bei Musik den problematischen Artikel 13 gar nicht. Für viele der interessanten Materialien, die durchs Internet ermöglicht werden, gibt es jedoch weder solche Infrastrukturen noch diesen Organisationsgrad. Ein Grundfehler der Richtlinie ist, die Modelle und Schemata der Rechtewahrnehmung, wie sie bei Musik funktionieren, den anderen kulturellen Ausdrucksarten aufzuzwingen. iRights.info: Wieso ist für Musik Artikel 13 gar nicht erforderlich? Martin Kretschmer: Zum einen scheint es derzeit in der EU – ungeachtet der Richtlinie – darauf hinauszulaufen, dass Youtube urheberrechtlich neu eingestuft wird. Ich spreche damit die Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom September 2018 an. Dort geht es unter anderem darum zu klären, ob Youtube als Betreiber einer Plattform, auf der Nutzer Videos mit urheberrechtlich geschützten Inhalten ohne Zustimmung der Rechtsinhaber öffentlich zugänglich machen, direkt haftbar ist. Der BGH weist darauf hin, das Youtube „eine Aufbereitung der Suchergebnisse in Form von Ranglisten und inhaltlichen Rubriken vornimmt und registrierten Nutzern eine an von diesen bereits angesehenen Videos orientierte Übersicht mit empfohlenen Videos anzeigen lässt“. iRights.info: Berufen sich Youtube und die Plattformen nicht zu Recht auf das Haftungsprivileg, also darauf Serviceprovider und keine Nutzenden zu sein? Martin Kretschmer: Das tun sie, aber meiner Einschätzung nach wird die Beurteilung des EuGH dahin gehen, Youtube auf der Grundlage bisheriger Rechtsprechung zum Standard eines „sorgfältigen Wirtschaftsteilnehmer“ den Safe Harbor zu entziehen. Wenn man sich ansieht, wie sich der Blick der Rechtswissenschaft auf diese Frage entwickelt und wie der EuGH in den vergangenen Jahren hierzu entschieden hat, liegt dies nahe. Youtube hat sich bereits bewegt und bietet inzwischen eine kostenpflichtige „Premium“-Version an, bei dem traditionelle Lizenzmodelle zum Einsatz kommen. Außerdem einigte sich Youtube 2016 nach jahrelangen Verhandlungen auf bestimmte Zahlungen an die GEMA. Allerdings wurde nicht klargestellt, auf welcher Grundlage und wie viel Geld da fließt – die Verträge sind geheim. Zudem hat Youtube seit Jahren schon sein Content-ID-System im Einsatz, mit dem Werke verglichen, gefiltert und blockiert werden. Das setzt Kenntnis und Kontrolle von Inhalten und Nutzungen voraus. Auch das spricht dafür, dass der EuGH YouTube das Haftungsprivileg entziehen wird. Dies wird zwar nicht auf alle Werke und Inhalte zutreffen, die bei Youtube hochgeladen werden. Doch dafür werden sie ihre Plattform klar in mehrere Dienste trennen – auf diesem Weg sind sie ohnehin schon. „Wenn jedes Land ein eigenes System einführen kann, gibt es keinen Binnenmarkt“ iRights.info: Youtubes Content-ID, wie auch andere Filter, haben Schwierigkeiten damit, zu erkennen, wenn geschützte Inhalte für Parodien, Satire, Zitate und gestattete Nutzungen verwendet werden. Gleichwohl geht die Richtlinie explizit darauf ein, dass diese gesetzlichen Ausnahmen weiterhin gelten. Ist das nicht widersprüchlich? Martin Kretschmer: Problematisch finde ich, wie in Artikel 13 damit umgegangen wird, ob die Mitgliedsstaaten diese Ausnahmen haben müssen. Momentan gibt es diese Schrankenregelungen nicht in allen EU-Ländern. Sie wurden mit der InfoSoc-Richtlinie von 2001 nicht harmonisiert, sondern waren optional. So wie es in der Richtlinie in Artikel 13 Absatz 5 formuliert ist, fragt man sich, ob die Ausnahmen tatsächlich durch alle Mitgliedsstaaten verpflichtend einzuführen sind. Doch wenn jedes Land ein eigenes System einführen kann, gibt es keinen Binnenmarkt. iRights.info: Der Harmonisierung und dem digitalen Binnenmarkt sollen Artikel 3 bis 7 dienen, indem Einrichtungen für Bildung, Wissenschaft und kulturelles Erbe leichter mit geschütztem Material arbeiten können. Dort formulierte Regelungen sind in Deutschland – in ähnlicher Form – bereits seit 2017 beziehungsweise 2018 in Kraft. Martin Kretschmer: Sie sind also relativ neu – und deswegen sollte man erstmal sehen und auswerten, wie sich diese Ausnahmen in der Praxis bewähren und wie der Markt daraufhin reagiert. Meiner Meinung nach ist da für die EU kein dringender Handlungsbedarf. iRights.info: Für andere sind die Reformen längst überfällig, beispielsweise zum Text- und Datamining in Artikel 3. Martin Kretschmer: Mag sein, doch gerade die Text- und Datamining-Regelung beruht meines Erachtens auf einer falschen Grundannahme, nämlich dass man dafür überhaupt eine Ausnahme bräuchte. Durch Text- und Datamining werden Informationen aus Werken extrahiert, aber keine Werke als Werke kopiert. Das ist keine urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung, sondern Nutzung der Informationen innerhalb eines Werks. Wenn aber der Gesetzgeber dennoch eine Ausnahme einführt, um Unklarheiten auszuräumen, müsste sie für alle anwendbar sein – nicht nur für bestimmte wissenschaftliche Zwecke. So aber klammert sie beispielsweise Datenjournalisten oder Startups aus. Daher halte ich Artikel 3 für ein Eigentor. „Eine Lizenzierungspflicht als Organisationsprinzip scheint mir für die Balance des Urheberrechts schädlich“ iRights.info: Sie erteilen der Richtlinie insgesamt eher eine Absage? Martin Kretschmer: Im Herbst war ich noch der Meinung, dass die Reform – ohne die problematischen Artikel 11 und 13 – zu begrüßen wäre. Inzwischen sehe ich das anders. Durch die Richtlinie zieht sich die Annahme, dass Lizenzierungen erworben werden müssen. Selbst in den Ausnahmen für Bildung und Wissenschaft findet sich dieser Gedanke. Eine Lizenzierungspflicht als Organisationsprinzip scheint mir für die Balance des Urheberrechts schädlich. Indem sie sich so sehr auf Youtube konzentriert, verliert die Richtlinie das kulturelle und wirtschaftliche Potenzial aus dem Blick, das sich in Europa durch das Internet entfalten könnte. Europa ist kulturell so reich. Warum sollen Innovationen für unerwartete, interessante, verwertbare kulturelle Materialien, wie ich sie mit meinen Beispielen skizziert habe, ausgebremst werden? Als Ganzes ist die Richtlinie unsauber. Aus meiner persönlichen Sicht würde die EU wenig verlieren, wenn sie die Richtlinie einfach ablehnt. iRights.info: Welche Alternativen gäbe es? Martin Kretschmer: Wenn man wirklich bei den Plattformen ansetzen und dort Geld holen will, dann muss man über das Steuerrecht vorgehen und man muss das Wettbewerbsrecht anwenden. Das ist völlig klar, das wissen alle. iRights.info: Eine höhere Besteuerung der großen Internet-Unternehmen hat die EU dieser Tage erneut abgelehnt. Wenig später verhängte die EU-Kommission gegen Google eine Milliardenstrafe, wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung bei Suchmaschinen. Martin Kretschmer: Das Urheberrecht ist eher ungeeignet. Hier gibt es eine Lobby-Dynamik, die sich seit 20 Jahren, seit den WIPO-Verträgen, verlängert und verstärkt, mit einer Fokussierung auf die Musikindustrie. Und es fällt den Vertretern dieser Branche schwer, außerhalb des Rahmens urheberrechtlicher Lösungen zu denken. Ich finde das verstörend. Martin Kretschmer ist Professor für Immaterialgüterrecht an der Universität Glasgow und Leiter von CREATe (UK Copyright and Creative Economy Centre University of Glasgow), das den Reformprozess in der EU von Anfang beobachtet, dokumentiert sowie und mit konstruktiven Vorschlägen begleitet. Zudem gehört er der European Copyright Society an, einem Verbund europäischer Urheberrechtswissenschaftler. Dieser Artikel ist unter der Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung Lizenz 2.0 Germany am 21.03.2019 auf irights.info erschienen. Der Autor ist Henry Steinhau. Ähnliche Beiträge zu diesem Thema Ermöglichen Artikel 9a und „verpflichtende Pauschallizenzierung“ Auswege aus dem Uploadfilter-Dilemma? (20.03.2019) Kommt die EU-Richtlinie entweder ganz oder gar nicht – oder geht auch „halb“? (12.03.2019) Artikel 13: EU veröffentlicht Lobby-Video & Wikipedia will abschalten (08.03.2019) Artikel 13: Kann der Gegenvorschlag funktionieren? (02.03.2019) Artikel 13 und Axel Voss (CDU): "Meinungsfreiheit auch mal eingegrenzt wird" (01.03.2019) EVP-Fraktion fordert neue und faire Urheberrechtsregelungen für die digitale Welt von heute (01.03.2019) Die Aktie von Axel Springer oder warum das neue EU-Urheberrecht scheitern wird (01.03.2019) Worum es beim Streit um Uploadfilter und Leistungsschutzrecht geht (28.02.2019) Praxisfern und unrealistisch: Ist Artikel 13 das dümmste Gesetz der Welt? (27.02.2019) Upload-Filter & Artikel 13: Warum die Bundesregierung vom Koalitionsvertrag abweicht (25.02.2019) 23.03.2019
Ermöglichen Artikel 9a und „verpflichtende Pauschallizenzierung“ Auswege aus dem Uploadfilter-Dilemma?
Plattformen sollen verpflichtet werden, die Inhalte, die bei ihnen hochgeladen werden, über Verwertungsgesellschaften zu lizenzieren. Das soll das Dilemma um die Uploadfilter auflösen. Doch ist dies überhaupt rechtlich möglich? Eine Analyse. In zahlreichen Beiträgen zur weiterhin erregt geführten Debatte um die EU-Urheberrechtsreform verweisen die Befürworter der Reform darauf, dass es beim Streit um die Uploadfilter vor allem um Lizenzierung gehe. Je sorgfältiger und umfassender eine Plattform Inhalte lizenziert, so der Tenor, desto weniger würden Uploadfilter benötigt. Ausgangspunkt dieser Lizenzierungspflicht ist, dass Betreiber wie beispielsweise Youtube zukünftig für Filme, Videos, Musikstücke, Fotos, Grafiken, Animationen, Texte und alle weiteren Werkarten, die auf ihren Plattformen vorkommen, entsprechende Lizenzen erwerben müssen – also die Erlaubnis, diese Werke zugänglich zu machen, verbunden mit entsprechenden, ausgehandelten Vergütungszahlungen. Hierfür sollen sie aber nicht mit jedem Urheber einzeln verhandeln müssen. Stattdessen sollen sie sich an Studios, Musiklabels, Sender, Verlage und ähnliche Unternehmen wenden, die als Rechteinhaber gebündelt für Urheber fungieren. Oder sie erhalten diese Nutzungsrechte bei Verwertungsgesellschaften, wie beispielsweise der GEMA für Musikwerke, der VG Bild-Kunst für Fotos oder der VG Wort für Texte. Welche Lizenzen bieten Verwertungsgesellschaften? Verwertungsgesellschaften sind staatlich zugelassene und beaufsichtigte Einrichtungen. Sie handeln prinzipiell für all jene Urheber und Rechteinhaber, die mit ihnen einen sogenannten Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen haben. Mitunter verfahren die Verwertungsgesellschaften dabei zweigleisig. Zum einen sammeln sie treuhänderisch die Abgaben ein, die aufgrund der gesetzlichen Vergütungsansprüche für Privatkopien fällig werden. Diese Abgaben sind beispielsweise in den Verkaufspreisen von Speichermedien enthalten, wie Festplatten, USB-Sticks und SD-Cards, aber auch in denen von kopierfähigen Geräten, wie Smartphones, Tablets und PCs, Druckern und Kopiergeräten. Zudem sind auch bei Kopiervorgängen in Copyshops oder für Bibliotheksentleihen Abgaben fällig. Zum anderen vergeben bestimmte Verwertungsgesellschaften Lizenzen, etwa für die sogenannte „öffentliche Wiedergabe“ von Werken, wenn zum Beispiel Radiosender oder Podcasts, Clubs oder Straßenfeste Musik ausstrahlen oder abspielen. Hierfür gibt beispielsweise die GEMA Tarife heraus, in denen sie die Vergütungshöhe unter anderem an die Publikumsgröße oder etwaige Eintrittspreise knüpft. Auch für öffentliche Filmvorführungen, Lesungen von Texten oder die Zusammenstellung von Zeitungsartikeln in Presseschauen halten Verwertungsgesellschaften Lizenzen und Vergütungstarife bereit. Es ist wichtig festzuhalten, dass es viele Urheber*innen und Rechteinhaber gibt, die keiner Verwertungsgesellschaft angeschlossen sind und für deren Werke demzufolge keine Lizenzrechte bei Verwertungsgesellschaften erworben werden können. Einen Zwang, Wahrnehmungsverträge bei Verwertungsgesellschaften abzuschließen, gibt es nicht. Auf der anderen Seite aber dürfen die Verwertungsgesellschaften niemanden ablehnen, der sich ihnen anschließen will, das regelt der sogenannte „Abschlusszwang“. Die unklare Rolle der Intermediäre Für Internetplattformen wie Youtube oder Facebook, wo Nutzer*innen eigene und fremde Filme, Fotos, Musik und weitere geschützte Werke und Inhalte hochladen können, gibt es bisher keine Tarife bei den Verwertungsgesellschaften. [Die GEMA hatte sich 2016 mit Youtube lediglich auf freiwillige Zahlungen geeinigt.] Das liegt im Wesentlichen daran, dass die Rolle dieser „Intermediäre“ urheberrechtlich gesehen weitgehend unklar war – sie bieten ihrer Ansicht nach nur eine Plattform und keine eigenen Inhalte. Zudem berufen sich die Plattformbetreiber auf das Haftungsprivileg, das ihnen als Technikprovider zusteht – gemäß der immer noch gültigen E-Commerce-Richtlinie von 2000 (PDF). Große Rechteinhaber, viele Urheber- und Verwerterverbände sowie viele Verwertungsgesellschaften hingegen betrachten die Art und Weise, wie die angesprochenen Plattformen die hochgeladenen Inhalte sortieren und präsentieren, sehr wohl als eine urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung. Dies vor allem deshalb, weil ihre Geschäftsmodelle darauf basieren, neben den Inhalten passende Werbung zu platzieren. Aus all diesen Gründen will die Richtlinie speziell die großen Sharing-Plattformen neu einstufen und sie zum Lizenzieren verpflichten. Und hierfür sollen die Verwertungsgesellschaften zentrale Ansprechpartner sein: An sie sollen die Plattformen die Vergütungen zahlen, welche dann an Rechteinhaber und Urheber ausgeschüttet werden. Wie sollen Plattformen Werke lizenzieren, für die Verwertungsgesellschaften keine Lizenzrechte haben? Noch einmal zusammengefasst: Die großen Internetplattformen sollen künftig Lizenzverträge mit Rechteinhabern beziehungsweise Verwertungsgesellschaften schließen müssen. Doch wenn die Plattformen gleichzeitig für jegliche Benutzer und jenen „User Generated Content“ offen bleiben wollen, der durch diese Lizenzen eben nicht erfasst ist, dann stellt sich die Frage, wie sie Werke lizenzieren sollen, für die die Verwertungsgesellschaften keine Lizenzrechte haben. Eine Antwort sehen manche im Artikel 9a der Richtlinie (PDF). Er würde den Regelungen in Artikel 13 die erforderlichen Spielräume geben, heißt es seit einigen Tagen immer öfter. So schreibt die Initiative Urheberrecht in einer Stellungnahme, dass der Artikel 9a eine Erleichterung der Lizenzierung vorsehe, weil er das System des „extended collective licensing“ europaweit als Möglichkeit einführe. Demzufolge, so erklärt auch Matthias Hornschuh, Musiker und in GEMA-Gremien tätig, auf seiner Webseite in einem Kommentar zu einem Text von Thomas Elbel, dürften Verwertungsgesellschaften „das von ihnen nicht repräsentierte Repertoire so mit lizenzieren, als ob sie die Rechte daran hielten (das geht übrigens deutlich weiter als im Parallelfall der Rundfunklizenzierung).“ Hinter diesen Ansätzen scheint die Idee zu stehen, dass die Verwertungsgesellschaft auch für jene Urheber und Werke Lizenzrechte an Dritte vergeben darf, die ihnen gar nicht angeschlossen sind. Juristen reden von „Außenstehenden“. Sie sollen mittels der erwähnten Kollektivlizenzen zunächst ungefragt vertreten werden können. Sie könnten sich aber jederzeit nachträglich bei den Verwertungsgesellschaften melden und einen Vertrag mit ihnen schließen. Artikel 9a greift nicht weit genug Für den Rechtswissenschaftler Hannes Henke, Mitarbeiter der juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ist indes unklar, wie weit die Regelungen des Artikel 9a tatsächlich greifen. Im Gespräch mit iRights.info sagt er: „In den Formulierungen dieses Artikels steht deutlich, dass der Einsatz von erweiterten kollektiven Lizenzen an einige Voraussetzungen geknüpft ist und dies bringt einige Konsequenzen mit sich. Dort steht etwa, dass diese Kollektivlizenzen auf ‚well defined areas‘ beschränkt sein müssen, also genau festgelegte Anwendungsbereiche. Demgegenüber beschreibt Artikel 13 aber lediglich die Art der Plattformen: ‚online content sharing service provider‘. Er schränkt aber keinerlei Anwendungsbereiche oder Nutzungszwecke ein. Man würde Artikel 9a deutlich überstrapazieren, wollte man ihn mit Artikel 13 verknüpfen.“ Zudem sei zu beachten, dass die „Außenstehenden“ jederzeit das Recht hätten, ihre Werke von diesen Lizenzvereinbarungen auszunehmen. Das besage Artikel 9a in Absatz 3, Buchstabe c, so Hannes Henke: „Sie können jederzeit der Nutzung ihrer Werke widersprechen beziehungsweise den Umfang der Nutzung begrenzen. Der Widerspruch kann also spezifiziert erfolgen, auf einzelne Werke oder Nutzungszwecke bezogen. Das müssen die Plattformen genau beachten. Sobald solch ein Widerspruch vorliegt, muss der Plattformbetreiber sicherstellen, dass die davon betroffenen Werke nicht mehr öffentlich zugänglich gemacht werden.“ Es bliebe den Plattformen allerdings freigestellt, ob sie dies händisch oder durch automatisierte Filter bewerkstelligen. Artikel 9a ist an Artikel 7 bis 9 angelehnt Aus Sicht von Henke bezieht sich Artikel 9a weniger auf Artikel 13, sondern ist vielmehr an die Regelungen der Artikel 7 bis 9 der Richtlinie angelehnt. Diese beziehen sich explizit auf die Nutzung vergriffener Werke und des kulturellen Erbes in öffentlichen Kultureinrichtungen. Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke schreibt zu den genannten Extended Collective Licenses (ECL): „Solche Systeme sind etwa in Skandinavien bereits üblich, durch ein kürzlich ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) jedoch gefährdet (Urt. v. 16.11.2016, Rs. C-301/15 – Soulier & Doke).“ Auch Julia Reda, MdEP der Piratenpartei und Schattenberichterstatterin des Europäischen Parlaments für die Urheberrechtsrichtlinie, bezieht sich in einem Twitter-Post auf dieses EuGH-Urteil. „Die (Skandinavier) haben nämlich Angst, dass nach dem Urteil Soulier & Doke ihre (ECL-)Systeme nicht mehr europarechtskonform sind.“ Mehr noch, Redas Ansicht nach sei Artikel 9a nie als Durchsetzungsmittel für Artikel 13 diskutiert worden. Zudem sei er für die EU-Mitgliedsstaaten keine Muss- sondern eine Kann-Bestimmung, und sie halte es für unwahrscheinlich, dass Deutschland diese überhaupt umsetze. Viele Verwertungsgesellschaften in den EU-Staaten sind zu klein Hannes Henke gibt weiterhin zu bedenken, dass die Anzahl und die Wirkungsbereiche von Verwertungsgesellschaften in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Während die Abdeckung für bestimmte Werk- und Nutzungsarten und der Organisationsgrad der Urheber in Skandinavien, Deutschland oder Frankreich recht hoch sei, sehe es in anderen Ländern der EU schlechter aus. Außerdem weist er darauf hin, dass „eine weitere zwingende Voraussetzung für Artikel 9a ist, dass eine Verwertungsgesellschaft, die die kollektive Lizenzierung vornehmen will, repräsentativ sein muss. Nur dann darf sie Lizenzvereinbarungen mit Nutzern – etwa den Plattformen – schließen, die auch die Werke der außenstehenden Rechteinhaber umfassen. Verwertungsgesellschaften, die national nur einen verschwindend kleinen Teil vertreten, dürften sich nicht auf 9a berufen und eben keine Lizenzen für die Nutzung von Werken Außenstehender vergeben.“ Das heißt, wenn es für betroffene Plattformen darum geht, verpflichtende Lizenzierungen zu erwerben, könnte es bezüglich der Verwertungsgesellschaften in jedem EU-Mitgliedsstaat sehr unterschiedlich aussehen. Abgesehen von etwaigen Schwierigkeiten im Tagesgeschäft mit Lizenzen würde eine solche Situation auch dem eigentlichen Ziel der Richtlinie widersprechen, das Urheberrecht in der EU zu harmonisieren, um einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen. Wäre eine „gesetzlich verpflichtende Pauschallizenz“ EU-rechtlich möglich? Eine weitere Variante stellte kürzlich die CDU zur Diskussion. Ihr für viele überraschend präsentierter Plan sieht vor, eine „gesetzlich verpflichtend ausgestaltete Pauschallizenz“ als neue, allerdings national geregelte Ausnahmeregelung einzuführen. Im Kern beinhaltet der Vorschlag eine Regelung, dass im Grunde jegliche Uploads auf Plattformen erlaubt seien, aber automatisch lizenziert würden, egal ob die User das wollen oder nicht. Zudem sollen für Uploads, die unter einer bestimmten zeitlichen Grenze liegen (welche jedoch nicht näher spezifiziert wird) keine Lizenzgebühren fällig werden. Zwar nennt die CDU hier die Verwertungsgesellschaften nicht explizit. Gleichwohl wären diese wohl die einzig denkbare Möglichkeit, um solche verpflichtenden Pauschallizenzen vergeben und die Vergütungen an Urheber und Rechteinhaber verteilen zu können. Zumindest wäre dann sichergestellt, dass sich die Plattformbetreiber nur an einen einzigen Ansprechpartner wenden müssen, nämlich an die dann zuständige Verwertungsgesellschaft. Wäre ein solche gesetzliche Pauschallizenz eine rechtliche Möglichkeit, den beabsichtigten Ausgleich zwischen Urhebern, Rechteinhabern, Plattformen und Nutzern zu ermöglichen? Dazu noch einmal Rechtswissenschaftler Hannes Henke: „Die Geltendmachung des Rechtes der öffentlichen Zugänglichmachung auf Online-Plattformen allein in die Hände von Verwertungsgesellschaften zu legen – ich bin skeptisch, ob dies unionsrechtlich zulässig wäre.“ Der EuGH habe in dem bereits angesprochenen Urteil Soulier & Doke deutlich zu verstehen gegeben, dass sich die Rechte des Urhebers auch auf die konkrete Ausübung der Nutzungsrechte erstrecken. Es müsse daher allein den Urhebern vorbehalten bleiben, der Nutzung ihrer Werke entweder ausdrücklich oder implizit zuzustimmen. Somit müssten auch die Verwertungsgesellschaften selbst erst durch die Urheber zum Abschluss einer Pauschallizenz ermächtigt werden. Im Übrigen überginge eine „Verwertungsgesellschaftenpflicht“ ohne jegliche EU-rechtliche Grundlage letztlich die engen Voraussetzungen, die Artikel 9a an eine Pauschallizenzierung stellt, so Henke. Fazit Ob also der zuletzt immer häufiger zitierte Richtlinien-Artikel 9a beziehungsweise eine verpflichtende Pauschallizenz einen Ausweg aus dem Uploadfilter-Dilemma ermöglichen, ob diese Optionen rechtlich realisierbar und ob sie politisch durchsetzbar wären, das scheint weder verlässlich noch unproblematisch zu sein. Die Artikel ist unter der Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung Lizenz 2.0 Germany am 19.03.2019 auf irights.info erschienen. Der Autor ist Henry Steinhau. Ähnliche Beiträge zu diesem Thema Kommt die EU-Richtlinie entweder ganz oder gar nicht – oder geht auch „halb“? (12.03.2019) Artikel 13: EU veröffentlicht Lobby-Video & Wikipedia will abschalten (08.03.2019) Artikel 13: Kann der Gegenvorschlag funktionieren? (02.03.2019) Artikel 13 und Axel Voss (CDU): "Meinungsfreiheit auch mal eingegrenzt wird" (01.03.2019) EVP-Fraktion fordert neue und faire Urheberrechtsregelungen für die digitale Welt von heute (01.03.2019) Die Aktie von Axel Springer oder warum das neue EU-Urheberrecht scheitern wird (01.03.2019) Worum es beim Streit um Uploadfilter und Leistungsschutzrecht geht (28.02.2019) Praxisfern und unrealistisch: Ist Artikel 13 das dümmste Gesetz der Welt? (27.02.2019) Upload-Filter & Artikel 13: Warum die Bundesregierung vom Koalitionsvertrag abweicht (25.02.2019) Artikel 13 – Brief an Axel Voss (CDU) (22.02.2019) 20.03.2019
Worum es beim Streit um Uploadfilter und Leistungsschutzrecht geht
Auch nach dem Kompromiss zur neuen EU-Urheberrechtsdirektive geht der Streit weiter – in der EU wie auch unter Interessenvertretern. Insbesondere die zu erwartenden Uploadfilter und das Presse-Leistungsschutzrecht sorgen für Kontroversen. In rund vier Wochen entscheidet die finale Abstimmung des EU-Parlaments. Die EU-Richtlinie für ein neues digitales Urheberrecht steht. Nach jahrelangen Vorarbeiten und zuletzt monatelangen (Trilog-)Verhandlungen zwischen EU-Kommission, -Rat und -Parlament liegt eine Fassung vor, die der Rat bereits verabschiedete und über die nun noch die EU-Parlamentarier abstimmen müssen. Wie fast nicht anders zu erwarten, sind nicht alle glücklich über den Vorschlag. Für Kontroversen sorgt vor allem die neue Haftung für Plattformbetreiber bei Urheberrechtsverletzungen, die in Artikel 13 der Reform formuliert ist. Sie wird unter dem Stichwort Uploadfilter vor allem von der Netzcommunity, aber auch von der Internetwirtschaft kritisiert, während viele Verwerter- und Urheberverbände sie verteidigen. Wieso wird das EU-Urheberrecht reformiert? Die letzte größere Reform des Urheberrechts auf EU-Ebene fand 2001 statt: Die Richtlinie 2001/29/EG zur „Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“. 2001 gab es Internet zwar schon, aber noch kein Facebook, Youtube oder Spotify. Google hatte erst fünf Jahre vorher angefangen. Napster führte das Filesharing in die Jugendzimmer ein und bereitete der Musik- und Filmindustrie ernsthaftes Kopfzerbrechen. Es hat sich viel verändert. Ein neues Urheberrecht soll diese Veränderungen reflektieren. Um einen digitalen Binnenmarkt zu etablieren, muss außerdem die rechtliche Situation in den Mitgliedsstaaten einander angeglichen werden. Das ist das erklärte Ziel der EU-Politik, allen voran des gegenwärtigen Kommissars für den digitalen Binnenmarkt, Andrus Ansip. Da die EU-Mitgliedsstaaten unterschiedliche Vorstellungen und Interessen haben, eine Harmonisierung des Urheberrechts viele länderspezifische Regelungen überwinden muss und zudem auch die Befindlichkeiten von Wirtschaft und Zivilgesellschaft berücksichtigt werden sollen, dauert der Prozess nun schon einige Jahre an. Was sind die wichtigsten Punkte der EU-Urheberrechtsreform? Viele Reformbemühungen der EU zielen darauf, den Binnenmarkt voranzutreiben. So haben zum Beispiel die jüngst veranlassten Verordnungen zu Portabilität und Geoblocking das Ziel, Nutzer*innen in der EU zu ermöglichen, dass sie Video- und Audioinhalte grenzüberschreitend anschauen können. So sollen Kund*innen von Streaming-Services diese auch außerhalb des Landes, wo sie sie gekauft haben, nutzen können. Auch mit der nun erarbeiten „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ (PDF in der englischen Fassung vom 20.2.2019) will die EU den Binnenmarkt stärken, in dem sie Regulierungen für alle Mitgliedsländer angleicht. Dazu gibt es unter anderem folgende Regelungen: Die Situation für Studierende und Lehrende soll erleichtert werden, damit sie Lehrmaterialen digital nutzen können. Eine in Deutschland bereits eingeführte Ausnahmeregelung für Text- und Data-Mining von Forschungsorganisationen zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung soll EU-weit gelten. Einrichtungen des Kulturerbes soll es erlaubt sein, digitale Kopien von Werken aus in ihren Sammlungen anzufertigen, um sie zu erhalten oder online zu stellen. Urheber*innen sollen mehr Rechte gegenüber Verwertern erhalten, etwa einen Auskunftsanspruch, wie ihre Werke verwertet werden, oder einen Anspruch auf nachträgliche Vertragsanpassungen. Auch diesen Artikeln gibt es Kritik: etwa dass es bei der Text- und Data-Mining-Erlaubnis zu viele Einschränkungen gebe oder dass Verwertern verboten wird, Total-Buy-out-Verträge mit Urhebern abzuschließen, wie es in einem früheren Entwurf vorgesehen war. Zu Unmut bei Urheber*innen führt auch die geplante Erlaubnis der Beteiligung von Verlegern an gesetzlichen Kopiervergütungen. Diese ist in Deutschland seit 2016 nicht mehr zulässig. Besonders heftigen Streit gibt es aber vor allem um zwei Regelungen: Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage und die Haftung für Urheberrechtsverletzungen für Plattformbetreiber. Kritiker befürchten, dass die neuen Haftungsregeln direkt dazu führen, dass Anbieter wie Youtube/Google, Facebook und andere flächendeckend Uploadfilter installieren müssen. Beide Regelungen könnten Auswirkungen auf die Veröffentlichungs- und Meinungsfreiheit haben, die für viele das freie und offene Internet ausmacht. Wieso reden alle von Uploadfiltern? Das steht doch gar nicht im Text. Bei der Diskussion über Uploadfilter geht es eigentlich um die Frage, wer für illegal hochgeladene Inhalte haftet. Bisher müssen Plattformbetreiber wie Youtube, aber auch Wikipedia oder kleinere Anbieter von nutzergenerierten Inhalten, diese erst von ihrer Plattform nehmen, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Mit dem neuen Artikel 13 der Reform wären sie dazu gezwungen, solche Inhalte vorher schon abzufangen – oder im Vorfeld Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern abzuschließen. Ersteres geht aber nur durch ein automatisiertes Erkennungssystem – also Uploadfilter –, zweites ist gerade für kleine Anbieter so teuer, dass sie es nicht leisten können. Und auch sie müssten – dann erst recht – alle hochgeladenen Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen prüfen. Die erwähnten Uploadfilter existieren bereits – und werden auch eingesetzt, allen voran Youtubes „Content ID“-System. Dabei scannt Youtube alle hochgeladenen Inhalte automatisiert und entscheidet anhand eines Vergleichs mit einer riesigen, ständig wachsenden Datenbank, ob der Inhalt urheberrechtlich geschützt ist. Die Rechteinhaber können bei Youtube hinterlegen, was dann geschehen soll: Soll der Inhalt ganz gesperrt werden; darf er veröffentlicht, aber über Werbung monetarisiert werden? Hört sich doch gut an, wo ist das Problem? Content ID kann nicht unterscheiden zwischen legitimer Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten, wie etwa Zitaten, freier Benutzung oder Satire, und urheberrechtlich relevanter Nutzung – für die die Rechteinhaber tatsächlich ein Schutzrecht einfordern können. Kleine Anbieter wären darauf angewiesen, solche Filtersysteme von großen Firmen zu lizenzieren – nicht jeder kann so etwas selbst entwickeln. Das wiederum könnte große Anbieter stärken und zu einer Monopolisierung führen, wie auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnt. Die Befürworter der Regelung entgegnen, dass es Beschwerdemöglichkeiten geben soll, damit sich Nutzer*innen gegen unrechtmäßige Sperrungen wehren können. Außerdem sehe die Richtlinie in Artikel 13 Ausnahmen vor, unter anderem für Memes und Parodien sowie für Plattformen, die jünger als drei Jahre sind, weniger als 10 Millionen Euro Umsatz machen und weniger als 5 Millionen Besucher pro Monat haben. Diese Regelungen werden von Kritiker*innen jedoch als nicht ausreichend beurteilt. Schon jetzt sperrt Youtubes Content-ID-System immer wieder Inhalte unrechtmäßig – Nutzer*innen müssen dann viel Zeit und Energie investieren, um die Inhalte wieder zugänglich zu machen. So merkt das System offensichtlich nicht, dass eine Beethoven-Aufnahme, die schon vor mehr als 70 Jahren entstanden ist und auf der keine Schutzrechte mehr liegen, frei zugänglich sein müsste. Worum geht es beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage? Einige Verlage von Presseerzeugnissen – Magazine, Tageszeitungen und andere journalistische Produkte – möchten, dass Suchmaschinen und Aggregatoren, die selbst keine journalistischen Inhalte erstellen, aber vorhandene sammeln und zugänglich machen, für diese Leistung bezahlen. Dabei geht es vor allem um die Nutzung von Links, Überschriften und kurzen Zusammenfassungen (sogenannten Snippets). Leistungsschutzrechte für Presseverleger gibt es in Deutschland schon seit 2013. Sie sollen über die Reform EU-weit in ähnlicher Ausprägung eingeführt werden. Dabei sind sie hierzulande nicht wirklich ein Erfolgsmodell: Google hat mit den meisten Presseverlegern Vereinbarungen getroffen, dass sie ihre Inhalte kostenlos hergeben und Google damit keine Vergütungen für das Leistungsschutzrecht zahlen muss. In Spanien, wo ebenfalls ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger existiert, hat Google sein Angebot „Google News“ eingestellt, weil eine solche Einigung nicht möglich war. Eine Befürchtung ist, dass wenn ein solches Recht EU-weit eingeführt wird, auch andere, kleinere Anbieter unter dieses Gesetz fallen und abgemahnt werden können, wenn sie auf Inhalte aus Presseerzeugnissen verweisen, beispielsweise Blogs. Zusammenfassend gesagt könnte diese Regelung auch in der EU so nutzlos bleiben, wie sie bisher in Deutschland ist. Gleichwohl könnte sie für Verunsicherungen und Selbstzensur sorgen. Wie geht es jetzt weiter? Nachdem am 20. Februar im Europarat 21 von 28 Regierungen für den Entwurf stimmten, darunter auch Deutschland, votierte vor wenigen Tagen auch der zuständige Rechtsausschuss dafür. Nun müssen noch die 751 Parlamentarier*innen des Europaparlaments ihre Stimme abgeben, was laut Parlamentskalender entweder vom 25. bis 28. März, am 4. April oder vom 15. bis 18. April stattfindet. Das Plenum kann dem Gesetz qua Mehrheit zustimmen oder es komplett ablehnen – oder nochmals Änderungen einbringen. Etwa solche, die sich auf die umstrittenen Artikel 11 und 13 beziehen. In diesem Fall läge es wiederum in den Händen des EU-Rats, wie es weiter geht: Er kann das Gesetz mitsamt den Änderungen des Parlaments in Kraft setzen oder auch ohne die strittigen Artikel – oder aber die Novelle ganz aussetzen bis nach der Europawahl Ende Mai. Weil dann jedoch Parlament und Gremien neu besetzt sein werden, dürfte ein erneuter Anlauf einige Zeit in Anspruch nehmen. Dieser Artikel "Worum es beim Streit um Uploadfilter und Leistungsschutzrecht geht" ist unter der Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung Lizenz 2.0 Germany am 27.02.2019 auf irights.info erschienen. Die Autoren sind Valie Djordjevic und Henry Steinhau. 28.02.2019
Gaming- und Glücksspielmarkt wächst 2018 weiter Bildquelle: Pexels Der Markt für Videospiele und Glücksspiele in Deutschland wächst weiterhin. Bereits 2017 lag der Umsatz der Videospiel-Branche im Land bei 2,9 Milliarden Euro. In diesem Jahr könnte erstmals die Marke von drei Milliarden geknackt werden. Die Glücksspielbranche expandiert ebenfalls weiter, mit einem Umsatz von inzwischen mehr als elf Milliarden Euro. In den nächsten Jahren ist mit einem weiteren Wachstum zu rechnen. Für den Boom beim Spielen gibt es mehrere Gründe.   Videospiele: Neue Hardware belebt Geschäft Der Videospielmarkt profitiert nach Jahren der Stagnation von neuer Hardware, die das Geschäft im letzten Jahr belebte: Microsoft konnte mit seiner Konsole Xbox One X große Erfolge erzielen und so besonders den Markt der enthusiastischen Spieler begeistern. Konkurrent Nintendo vermeldete sogar noch bessere Verkaufszahlen seiner neuen Konsole Nintendo Switch: Bereits 18 Millionen Einheiten wurden weltweit seit März 2017 verkauft, davon 650.000 in Deutschland. Für das angehende Geschäftsjahr erwartet die Firma einen Absatz von 20 Millionen Konsolen. Und auch Playstation-Hersteller Sony prognostiziert mit 16 Millionen verkauften Playstation 4 Einheiten einen hohen Absatz. Dies führt außerdem zu einem höheren Abverkauf von Software-Titeln. Auch der Markt für PC- und Smartphone Spiele zeigte sich im letzten Jahr robust. Bildquelle: Pexels Glücksspiel: Online verdrängt klassische Casinos Beim Glücksspiel sind es vor allem die immer populärer werdenden Online Casinos, welche den klassischen Spielhallen zunehmend den Rang ablaufen. Über die Hälfte des Umsatzes von rund elf Milliarden Euro der Branche kommt inzwischen aus dem Internet. Das Angebot von Glücksspielen wie Poker und Roulette ist im Web inzwischen so groß, dass sich eine eigene Industrie für Vergleichsportale gebildet hat, welche die Vorzüge der verschiedenen Anbieter hervorhebt – beispielhaft verdeutlicht an der Bewertungen für andere Online Casinos, sowie ähnlichen Bewertungen für andere Online Casinos. Die Branche setzt inzwischen auf eine Kombination aus klassischen Spielen, Online-Varianten und interaktiven Angeboten wie Live-Spielen, bei denen die Spieler per Webcam lebensechter miteinander interagieren können. Dadurch hat die Glücksspiel-Branche in den letzten Jahren eine stetig wachsende Gemeinde an treuen Anhängern an sich binden können. Dass der technische Fortschritt Industrien revolutioniert, wurde dieses Jahr auch durch den Erfolg von Kryptowährungen deutlich. Ein weiterer Grund für die Popularität von Roulette und anderen Casino Spielen sind die Live-Übertragungen von großen Turnieren wie der World Series of Poker über Internet und Fernsehen. Die Branche rechnet in den kommenden Jahren mit einem weiteren Umsatz-Plus. Weltweit ist vor allem der Markt in den USA eine Goldgrube für Firmen, mit einem jährlichen Umsatz von umgerechnet über 80 Milliarden Euro. Dahinter folgen China und Japan, erst dann die europäischen Staaten. Gerade deshalb sind die Branchen-Vertreter zuversichtlich, in Ländern wie Deutschland auch in Zukunft expandieren zu können.   Fazit Die interaktiven Märkte für Video- und Glücksspiele haben ein Rekordjahr hinter sich. In beiden Branchen ist es der technologische Fortschritt, welcher die Konsumentenbasis vergrößert: Der Videospielsektor kehrt nach Jahren der Stagnation durch neue Hardware von Microsoft und Nintendo wieder auf Wachstumskurs zurück und verzeichnet auch in den Bereichen Internet- und Smartphone Gaming weiterhin steigende Umsätze. Im Casino-Sektor sind es vor allem Seiten im World Wide Web, welche den klassischen Spielhallen verstärkt ihre Vormachtstellung nehmen. Durch innovative Konzepte hat sich eine lebendige Industrie entwickelt, welche nach Prognosen in der nahen Zukunft weiterhin stark wachsen wird. 25.05.2018